Positiv oder negativ?

Positiv oder negativ?

Positiv oder negativ?

Positiv oder negativ – das ist hier die Frage!

Liest man in den sozialen Medien begegnet man den abenteuerlichsten Diskussionen zum Thema Lernverhalten. Lobst du dein Tier und bemühst dich um eine gute Beziehung, arbeitest du automatisch positiv. Negativ – das sind Dinge wie Stachelhalsband und Rollkur. Oder etwa nicht?
 Hier eine kleine Übersicht über das Wirrwarr von positiver und negativer Verstärkung und Strafe. 

Der Ablauf von Lernen basiert auf allgemeingültigen Lerngesetzen. Die Grundlagen hierzu sind für jede Tierart die Gleichen. Es ist also völlig egal, ob du mit deinem Pferd, deinem Hund oder deinem Elefanten trainierst – die Lerntheorie zu verstehen, hilft dir in jedem Fall weiter.

Die Definitionen – reden wir überhaupt vom Gleichen?!

Zunächst einmal sind die Begriffe positiv und negativ in Bezug auf Lernverhalten rein mathematisch und komplett wertfrei belegt. Positiv ist alles, wo ein Reiz hinzugefügt wird, negativ bedeutet immer es wird ein Reiz weggenommen.

Die zweite Unterscheidung findet statt zwischen Verstärkung und Strafe. Verstärkung ist alles, was bewirkt, dass ein Verhalten des Tieres häufigerauftritt. Strafe verringert die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Verhalten.

So weit zur grauen Theorie – betrachten wir doch einfach mal die Möglichkeiten, wie man die Begriffe kombinieren kann.

1. Positive Verstärkung

Positive Verstärkung ist der Bereich, mit der wir uns im Clickertraining hauptsächlich beschäftigen. Es wird per Definition ein Reiz hinzugefügt, der bewirkt, dass das ein Verhalten in der Folge häufiger gezeigt wird. Ein einfaches Beispiel, das du im Alltag vermutlich ständig nutzt, ist die Belohnung mit Futter. Dein Tier zeigt ein erwünschtes Verhalten und bekommt als Konsequenz eine Leckerei. Das wird vom Tier üblicherweise verstärkend wahrgenommen – es wird das Verhalten zukünftig häufiger zeigen, um wieder mit Futter belohnt zu werden.

Dieses Prinzip funktioniert sogar bei Verhaltensweisen, die du gar nicht bewusst herbeigeführt hast. Stell dir vor, dein Pferd flehmt häufig, zum Beispiel, weil es einen interessanten Geruch wittert. Belohnst du das Flehmen jedes mal mit einem Keks, wird es das Verhalten immer häufiger zeigen und du kannst es später zu einem Trick umformen. Das Ganze funktioniert aber auch in weniger erwünschten Kontexten. Wenn dein Pferd regelmäßig mit seiner Nase deine Jackentasche kontrolliert und dabei Kekse ergattern kann, wird sich das Verhalten Nase in Tasche stecken in Zukunft eher noch intensivieren.

2. Negative Verstärkung

Der Begriff der negativen Verstärkung impliziert, dass ein Reiz weggenommen wird und in der Folge ein Verhalten häufiger auftritt. Ein simples Beispiel, dass du vermutlich ebenfalls häufig einsetzt, sind sämtliche Reiterhilfen. Du legst deinen Schenkel am Bauch des Pferdes an und übst damit einen Druck aus. Reagiert dein Pferd und läuft los, lässt du den Druck nach. Das Wegnehmen des Schenkeldrucks wird vom Pferd üblicherweise als angenehm empfunden. Es wird zukünftig wieder und ggf. schon bei geringerer Druckintensität auf deinen Schenkeldruck loslaufen, um rasch mit dem Nachlassen des Drucks belohnt zu werden.

Ein typisches Beispiel aus der Hundewelt ist das Sitz über Druck auf den Po des Hundes. Der Hund kriegt die Hand auf den Po gelegt und setzt sich auf einen gewissen Druck hin. Sobald der Hund sitzt, lässt der Druck nach. Der Hund wird sich zukünftig wieder hinsetzen, wenn die Hand am Po auftaucht.

Wurde ein Signal sauber auftrainiert kannst du den Grad des Drucks immer weiter zurückfahren bis du irgendwann mit einer kleinen Handbewegung oder im Extremfall einem Blick auskommst. Die feine Kommunikation, die häufig im Natural Horsemanship (eben nicht) zu sehen ist, basiert meist auf einer entsprechenden Trainingsgeschichte. Haben Mensch und Pferd das Niveau erreicht, dass üblicherweise auf Shows zu sehen ist, wurde der Druck bereits sehr weit zurückgefahren und von außen sind kaum noch Signale zu erkennen.

3. Negative Strafe

Auch hier wird wieder etwas weggenommen, dieses mal allerdings nicht um ein Verhalten zu verstärken, sondern um es auf Dauer weniger werden zu lassen. Stell dir vor, wie dein Pferd auf der Putzplatte angebunden steht und du mit dem Futtereimer um die Ecke kommst. Dein Pferd beginnt in Erwartung der Fütterung ungeduldig zu scharren. Um das Verhalten negativ zu strafen, könntest du dich nun einfach sobald das Scharren beginnt umdrehen und mit dem Futter wieder aus der Reichweite des Pferdes entfernen. Dein Pferd bei korrektem Timing langfristig lernen, dass das Scharren dafür sorgt, dass das Futter verschwindet. Es wird das Verhalten langfristig seltener zeigen, um die unangenehme Konsequenz zu vermeiden.

4. Positive Strafe

Per Definition vermindert positive Strafe das Auftreten eines Verhaltens, indem ein Reiz hinzugefügt wird. Dabei handelt es sich um einen unangenehmen Reiz, den das Tier zukünftig zu umgehen versucht. Der Bereich der positiven Strafe ist mit äußerster Vorsicht zu genießen – hier geraten wir am schnellsten in tierschutzrelevante Bereiche.

Das klassische Beispiel ist das Hinzufügen eines unangenehmen Reizes in Form von Schmerzen. 
Das Pferd knabbert seinen Menschen an und kriegt dafür einen Klaps auf die Nase. Der Hund bellt unerwünscht und wird dafür mit einem Stromimpulsgerät bestraft. Bei korrekter Anwendung wird das Verhalten in Zukunft seltener auftreten, da das Tier den unangenehmen Reiz vermeiden möchte.


Positive Strafe ist also Teufelszeug?

Auch positive Strafe kann bei entsprechender Anwendung ihre Berechtigung haben. Allerdings ist die korrekte Anwendung im Alltag oft ziemlich schwierig. Fehlanwendungen bergen immer die Gefahr von Fehlverknüpfungen – ganz abgesehen davon, dass wir schon aus Tierschutzgründen die meisten positiven Strafen besser vermeiden sollten.

Eine Situation in der üblicherweise positiv gestraft wird, ist der Weidezaun. Das Pferd berührt den Zaun mit der Nase und wird augenblicklich mit zuverlässigem Timing und ausreichend unangenehmer Stromstärke bestraft. Es wird zukünftig versuchen, den Weidezaun nicht mehr zu berühren.

Die vier Quadranten der Lerntheorie

Diese vier Optionen, Verhalten zu verstärken oder zu strafen, werden auch als die vier Quadranten der Lerntheorie bezeichnet. Sie sind die Grundlage, um Lernverhalten zu verstehen und Trainingsansätze zu entwickeln.

Wer sich weitergehend mit der Lerntheorie beschäftigt wird feststellen, dass das reale Leben und Training sich leider nicht ganz so schematisch Verhalten wie die Theorie. Nur selten lässt sich ein Quadrant isoliert anwenden, fast immer wirken verschiedene Faktoren auf unsere Tiere ein. Warum man immer wieder individuell hinterfragen muss, ob ein Verstärker gerade wirklich ein Verstärker ist und wann eine Strafe wirklich als solche wirkt, erfahrt ihr hier.

Von |2022-10-23T14:53:35+02:0023. Oktober 2022|Allgemein|0 Kommentare

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