Das Pferd – mein Freund und Partner?

Das Pferd – mein Freund und Partner?

Das Pferd – mein Freund und Partner?

Heute ist mir etwas passiert, das mir klar gemacht hat, wie sehr sich meine Einstellung zum Pferd als Freund und Partner in den letzten Jahren verändert hat. Mein Tali ist ein typisches Crossover-Pferd. Er wurde früher ganz konventionell über negative Verstärkung gearbeitet, mit dem Clicker kam er erst durch mich in Berührung. Auch ich komme ursprünglich mal aus der ganz „normalen“ Reiterei und habe sogar einiges an Turnier“karriere“ hinter mir. Bis heute reite ich Tali dressurmäßig, lege aber viel Wert darauf, meinen Umgang mit ihm so positiv wie möglich zu gestalten. Es ist mir wichtig, seine Bedürfnisse zu berücksichtigen und einen vertrauensvollen, freundschaftlichen Umgang mit ihm zu pflegen.

Heute war ein stürmischer Tag.

Die Herde war dementsprechend aufgekratzt, trotzdem hatte ich mir vorgenommen, heute Abend noch zu reiten. Ich hatte wohl schon bessere Ideen. Tali kam mir wie immer freudig auf dem Paddocktrail entgegen. Als wir uns jedoch auf den Weg in Richtung Putzplatte machten, wurde er zunehmend nervös und gestresst. Insbesondere eine im Wind flatternde Abdeckplane machte ihm Angst, aber auch sonst fühlte er sich einfach nicht wohl in der Situation. Also blieb er kurz hinter dem Tor stehen, starrte sich an verschiedensten Umweltreizen fest und wollte zumindest ohne weiteren Nachdruck nicht mit mir zum Putzplatz laufen.

„Da muss er durch“…

Früher hätte ich wohl mein Strickende ausgepackt, zwei mal in Richtung Kruppe gewedelt und ihn einfach weiter getrieben. Sich vernünftig führen lassen ist schließlich eine absolute Grundvoraussetzung des Umgangs und durch die paar gruseligen Meter muss er halt durch.

Oder doch nicht?

Mittlerweile sehe ich das Ganze etwas anders. Natürlich war mein Plan ein anderer – natürlich wollte ich mein Pferd eigentlich in fünf Minuten reingeholt haben und es zum Reiten fertig machen. Aber wäre es wirklich im Sinne einer partnerschaftlichen Beziehung, einfach über seinen Stress hinweg zu gehen und ihn in eine Situation zu zwingen, die ihm Angst macht? Ich bin mir relativ sicher, dass ich dafür nur wenig Druck gebraucht hätte, trotzdem hätte ich ein gewisses Maß an Unwohlsein auf Talis Seite in Kauf nehmen müssen.

Pferd Freund

Ich verstehe jeden, der genau so denkt und handelt, wie auch ich es früher getan hätte. Unsere Einstellung gegenüber unseren Pferden ist geprägt von alten Traditionen und letztlich vom militärischen Einsatz. Für Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten des Tieres war beim Nutztier Pferd kein Platz. Bis heute ist es der Standard, dass schon Kinder in der Reitschule in erster Linie lernen, sich durchzusetzen. Es ist selbstverständlich, dass das Pferd zu tun hat, was der Mensch ihm befiehlt – an dieser Stelle ist dann auch noch Platz für Dominanztheorien und Rangordnungsgedöns aller Art.

Der Gedanke, dass das Pferd tun soll, was der Mensch von ihm möchte, ist ja auch nicht grundlegend verkehrt. Gerade in Anbetracht ihrer Größe und ihres Gefahrenpotentials ist es wohl unabdingbar, dass unsere Pferde zumindest gewisse Verhalten beherrschen und zuverlässig (nicht) zeigen. Trotzdem bin ich der Meinung, dass wir wenn mal wieder etwas nicht läuft, beginnen sollten, mehr zu hinterfragen bevor wir uns „durchsetzen“. Hat das Pferd, das beim Führen nicht weiter läuft wirklich eine böse Absicht im Kopf? Hat es vielleicht nie gelernt, was wir Menschen konkret unter Halfterführigkeit verstehen oder ist es zu gestresst, um das ansonsten sichere Verhalten abzurufen?

Muss es denn gerade unbedingt sein?

Darüber hinaus hinterfrage ich mittlerweile immer häufiger, wie wichtig ein bestimmtes Verhalten mir nun gerade wirklich ist. Muss mein Pferd jetzt unbedingt weiter laufen, weil es auf einer Hauptverkehrsstraße steht und ein LKW im Anmarsch ist? Oder ist es pragmatisch gedacht völlig wurscht, ob mein Pferd nun weiter läuft und am Ende hängt davon allenfalls mein Ego oder meine Abendgestaltung ab? Natürlich möchte ich niemandem empfehlen, grundsätzlich auf korrektes Führen zu verzichten, nur weil es gerade nicht unmittelbar zum Überleben notwendig ist. Viel mehr plädiere ich dafür, erwünschte Verhalten wie dieses kleinschrittig positiv zu trainieren und in Situationen, die das Pferd gut bewältigen kann, zu festigen. Je mehr Ablenkungen und Gruselreize selbstverständlich ins Training eingebaut werden, desto leichter wird es dem Pferd fallen, sich auch bei Sturm oder anderen Außeneinflüssen „richtig“ zu verhalten.

Alternatives Abendprogramm

Ich für meinen Teil habe heute übrigens spontan das Reiten gecancelt. Stattdessen habe ich die Situation genutzt und an Ort und Stelle ein bisschen Führtraining gemacht. Gemeinsam haben wir uns die böse Plane angeschaut – nach zehn Minuten war sie dann gar nicht mehr so böse. Im Laufe der Trainingseinheit wurde Tali immer mutiger bis er zum Schluss sogar (natürlich ohne Druck von hinten) eigenständig auf die Plane zutraben konnte. Ich könnte schwören, dass er dabei jedes mal ein paar Zentimeter gewachsen ist. Wir haben heute also einiges erreicht. Einerseits hat mein Pferd gelernt, sich trotz widriger Umstände entspannt und konzentriert an einer bösen Plane vorbei manövrieren zu lassen. Andererseits haben wir seine vorhandenen guten Basics in Puncto Führtraining ausgebaut und konnten sie schließlich auch in einem ungewohnten Trainingskontext prima abrufen. Dazu haben wir gleich noch ein bisschen was für das Thema Mut und Selbstwirksamkeit getan – welch angenehmer Nebeneffekt.

Morgen werde ich wohl nochmal versuchen, eine Runde zu reiten. Vorausgesetzt, dass es keine wichtigen Bedürfnisse meines Pferdes gibt, die dem entgegen stehen. Diese Flexibilität gestehe ich mir und ihm mittlerweile gerne zu und habe nicht das Gefühl, dass unsere reiterliche Entwicklung unter den paar Ausnahmen im Jahr nennenswert leidet. Und selbst wenn – die gute Beziehung zu meinem Pferd als Freund wäre es im Zweifel auch wert, Abstriche beim Erlernen neuer Dressurlektionen oder beim Überwinden eines Turnierparcours zu machen.

Von |2022-10-23T15:03:14+02:0023. Oktober 2022|Allgemein|0 Kommentare

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