Ohne Strafe keine Erziehung?

Ohne Strafe keine Erziehung?

Ohne Strafe keine Erziehung?

Eigentlich möchtest du gern positiv verstärkt trainieren, aber so ganz ohne Strafe kann das doch nichts werden, oder? Irgendwo muss man schließlich Grenzen setzen – erst Recht wenn das Tier 500 kg wiegt. Wattebäuschchen-Werferei, Antiautoritäre Erziehung – all das willst du dir schließlich nicht vorwerfen lassen. Heute erkläre ich dir, wie du dein Training so gestaltest, dass du Regeln ganz ohne Strafe aufstellst – und das ohne, dass dein verzogenes Pferd die Weltherrschaft an sich reißen wird.

Im Sinne von „keep it simple“ bezieht sich dieser Artikel ausschließlich auf den Einsatz von positiver Strafe. Mir ist natürlich bewusst, dass es mit der negativen Strafe auch noch andere Tools gibt, deren Einsatz auch im positivsten Alltag kaum vermeidbar ist. Wer jetzt nur Bahnhof versteht und gern tiefer ins Thema einsteigen möchte, erfährt hier, was mit positiv und negativ in diesem Kontext gemeint ist.

Was möchtest du erreichen?

Zunächst einmal gehe ich davon aus, dass jedem von uns Menschen etwas an seiner eigenen körperlichen Unversehrtheit gelegen ist. Es dürfte daher im Interesse jedes einzelnen sein, nicht von seinem Tier gebissen, getreten oder anderweitig beschädigt zu werden – ganz egal, mit welcher Methode er trainiert. 

Trotzdem haben wir unterschiedliche Vorstellungen, was unsere Tiere dürfen und was nicht. Der eine findet es niedlich, dass das Pferd seine Nase in die Taschen steckt, während es dem anderen wichtig ist, seinen Tanzbereich von dem des Pferdes deutlich abzugrenzen. Ein Hundebesitzer möchte, dass Bello mit Blickkontakt im perfekten bei Fuß läuft während der andere sich nicht daran stört, dass sein (in diesem Fall vermutlich eher kleiner) Hund permanent an der Leine zieht. Bevor es ans eigentliche Training geht, solltest du dir also zuerst einmal ein klares Bild davon machen, was du dir von deinem Pferd wünscht und wie es sich idealerweise verhalten sollte.

Wenn Pferde an Futtertaschen kleben

Nehmen wir nun beispielsweise an, dass du keine Pferdenase in deiner Tasche haben möchtest und dass dein Pferd sich dir gegenüber „höflich“ verhalten soll. Oft sieht man, dass Pferd und Futtertasche recht unvorbereitet aufeinander treffen. Hochmotiviert möchte der Mensch ins futterbasierte Training einsteigen, leider erliegt der Trainingspartner dem verlockenden Duft schon bevor man richtig anfangen konnte. Die Pferdenase wird dann weggeschoben – meist eher erfolglos. In der Konsequenz gibt es dann spätestens beim dritten mal den Klaps auf die Nase, um das aufdringliche Verhalten des Pferdes zu beenden. Hast du nun den Anspruch, ohne derartiges Strafen auszukommen, musst du dir das Verhalten des Pferdes wohl gefallen lassen und bestätigst damit die oben genannten Vorurteile – oder etwa doch nicht?

Nein – nicht wenn du dein Training mit Sinn und Verstand aufbaust. Einer der wichtigsten Aspekte im Training mit positiver Verstärkung ist ein durchdachtes Management und eine gute Trainingsplanung.

Was ist schief gelaufen?

In der oben beschriebenen Situation bist du (erstmals) mit einer randvoll gefüllten Futtertasche voller Verlockungen an dein Pferd heran getreten. Völlig überraschend (Vorsicht – Ironie!) interessiert sich dein Pferd für das Futter und du gerätst unter Zugzwang zu reagieren. Irgendetwas muss schließlich geschehen, um dein Pferd auf einer dir angenehmen Distanz zu halten. Es scheint kaum eine Alternative zum Klaps auf die Nase zu geben, um die Situation in deinem Sinne zu beenden.

Was habe ich also für Alternativen?
Üblicherweise kannst du davon ausgehen, dass jedes Pferd am Futter interessiert ist. Das weißt du bereits bevor es neben dir steht und sein Rüssel schier nicht mehr aus deiner Tasche zu bekommen ist. Du kannst dir also vorher überlegen, wie du vermeidest, überhaupt in eine entsprechende Situation zu kommen. 
Eine simple Lösung wäre es, einfach kein Futter mitzunehmen. Das Pferd hat keinen Grund mehr, seine Nase in deiner Tasche zu versenken und du hast keinen Grund mehr, es zu bestrafen. Damit beraubst du dich aber des Futters als wertvolles Belohnungstool. Zudem genießen es auch die meisten Menschen, ihren Pferden ganz entspannt eine Möhre zu geben, ohne dabei halb aufgefressen zu werden.

Und nun? Management ist das halbe Leben!

Alternativ musst du dir also überlegen, wie du deinem Pferd frühzeitig erklärst, welches Verhalten du von ihm sehen möchtest. Und zwar schon bevor es das unerwünschte Verhalten überhaupt zeigen kann. Im Fall der Futtertasche kannst du dir zum Beispiel einen Zaun oder ganz einfach den Anbindebalken zu Nutze machen. Ist dein Pferd angebunden oder kann dir durch den Zaun nicht folgen, dann ist es rein technisch nicht in der Lage, dir seine Nase in die Tasche zu schieben. Es wird also zwangsläufig erwünschtes Verhalten zeigen, bei dem es die Nase nicht in deiner Tasche hat. Dieses erwünschte Verhalten belohnst du und formst es mit einem simplen Trainingsplan zu deiner späteren Nullposition aus. Damit hast du bereits den Grundstein für jedes weitere Training gelegt. Natürlich funktioniert der Trainingsplan für’s Höflichkeitstraining nicht nur mit einem in dieser Hinsicht rohen Pferd, sondern auch mit kleinen Raubrittern und Schnappschildkröten, bei denen bereits einiges schief gelaufen ist.

Der sogenannte protected contact bietet dir die Chance, deinem Pferd zu erklären, dass die Nase an der Futtertasche eben nicht gern gesehen ist. Du machst dir dabei die äußeren Gegebenheiten so zu Nutze, dass dein Pferd „risikoarm“ lernen, also kaum noch Fehler machen kann. Das verhindert Frust und schafft schnelle Lernfortschritte. Natürlich möchtest du in Zukunft nicht ständig mit Barrieren zwischen dir und deinem Pferd arbeiten – ist auch nicht nötig. Bei strukturiertem Trainingsaufbau (Hier gibt es eine detailliertere Beschreibung zum Höflichkeitstraining) kannst du meist schon nach einer Trainingseinheit in das Training ohne Zaun und Strick einsteigen. Was im protected contact richtig erarbeitet wurde, funktioniert schnell auch im „normalen Leben“. Dein Pferd hat gelernt, dass jegliche Annäherung an die Futtertasche einfach nicht zum Erfolg führt und sich somit nicht lohnt. Du hast eine Regel eingeführt ohne dafür den Klaps oder eine andere Strafmaßnahme zu benötigen.

Protected contact

Protected contact eignet sich übrigens nicht nur, um sich das Leben mit einem zahmen Haustier etwas leichter zu gestalten. Gerade im Zoo- und Wildtiertraining, wo potentiell gefährliche Tiere beteiligt sind, wird die Arbeit durch Zäune oder Gitterstäbe gern genutzt. So lernt zum Beispiel der Elefant, seinen Fuß zur Pediküre durch die Gitter zum Pfleger zu strecken. Oder der Tiger legt seinen Schwanz nach draußen, um dem Tierarzt einen Blutentnahme zu ermöglichen. Die Abtrennung ermöglicht ein relativ gefahrloses Arbeiten am Tier.

Das Tier muss von sich aus mitarbeiten – der Elefant hinterm Gehegezaun lässt sich nun mal schwieriger gegen seinen Willen festhalten als der Mops auf dem Praxistisch. Umso wichtiger ist natürlich ein optimaler Trainingsaufbau. Passt die Belohnungsrate nicht oder versteht der Elefant die Aufgabe nicht, dreht er sich um und trainiert einfach nicht weiter mit dem Menschen. Es ist also die Aufgabe des Menschen, kleinschrittig und motivierend zu trainieren, so dass der Elefant eben nicht frustriert aufgibt bevor das Ziel erreicht ist.
Den Anspruch, Motivation durch guten Trainingsaufbau zu erhalten, kannst du natürlich auf dein Pferd übertragen. Anders als beim Elefanten wäre es zwar verhältnismäßig leicht, dein Pferd mit entsprechenden Werkzeugen zur Kooperation zu drängen, aber möchtest du das? Sollten wir nicht unseren Pferden das gleiche durchdachte und strukturierte Training zukommen lassen, wie anderen Tierarten, bei denen uns die Kräfteverhältnisse dazu zwingen? Das Vorurteil, man käme aufgrund der Körpermasse bei einem Pferd nicht ohne körperliche Strafe aus, sollte übrigens vor dem Hintergrund des Elefanten-Beispiels hinreichend ad absurdum geführt sein.

Es ist grundsätzlich kein Problem, Regeln und Grenzen auch bei positiv verstärktem Training aufzuzeigen. Es bedarf jedoch einer durchdachten und gut geplanten Vorgehensweise des Menschen – und daran sollte der positive Umgang mit unseren Tieren ja wohl nicht scheitern.

Du möchtest mit deinem Pferd ins positiv verstärkte Training einsteigen oder deinen Trainingsaufbau verbessern? Lade dir jetzt meinen kostenlosen Trainingsplan zum Höflichkeitstraining runter.

Von |2022-10-23T14:58:38+02:0023. Oktober 2022|Allgemein|0 Kommentare

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